Der längste Tag, die Challenge Roth

Meine Woche vor dem Rennen verlief nicht ganz wie geplant. Von Mittwoch bis Freitag musste ich beruflich zur Messe nach Frankfurt. Also Rennrad ins Auto, für die letzte zwei Stunden Radeinheit am Mittwoch und Kompressionsstrümpfe, Faszienrolle in das Gepäck, bloß keine schweren Beine produzieren. Auch die Klimaanlage im Auto hatte für die Woche Pause, nur keine Halsschmerzen oder Erkältung riskieren.

Danach direkt nach Roth gefahren, um die Startunterlagen abzuholen. Ein wirklich elektrisierender Moment, man kommt auf das Veranstaltungsgelände, wo noch die letzten Handgriffe an dem Kolosseum der Triathleten angelegt werden. Überall laufen Profis wie Sebastian Kienle, Laura Phillip und viele andere herum. Für die Fans nahbarer als bei vielen anderen Sportarten. Nachdem die Startunterlagen abgeholt waren, ging es zurück nach Ingolstadt. Die Wechselbeutel mussten gepackt werden und der letzte Radcheck wurde noch erledigt. Schaltung schaltet, Lenker ist fest, die Bremsen funktionieren, aber du wirst sie hoffentlich nicht brauchen, denn wer bremst, verliert. Samstag durfte ich etwas länger schlafen, denn die vorletzte Nacht vor einem Rennen ist die wichtigste. Danach absolvierte ich noch einen kurzen 30-Minuten Lauf mit drei 5 Sekunden Sprints. Nach der Dusche und dem ausgiebigen Frühstück mit viel Kohlenhydraten und wenig Ballaststoffen ging es nach Hilpoltstein zum Bike-Check-In. Auf dem Weg wurde noch mein Oberfan eingesammelt (mein Papa), der extra aus Frankfurt angereist kam. Beim Abendbrot, es gab Spagetti mit Rucola-Tomatenpesto, wurden noch einmal die Strecke und die wichtigen Hotspots zum Anfeuern besprochen. Pünktlich zur Primetime um 20:15 gingen in meinem Schlafzimmer die Lichter aus, bis um 3:15 Uhr mein Wecker den längsten Tag des Jahres einläutete.

Schnell in die Klamotten rein, die wichtigen Körperstellen mit Antischeuermittel einreiben, vier Scheiben ungeröstetes Weizentoast mit Apfelmarmelade ins Gesicht gedrückt, den Rad- und Afterracebeutel gegriffen, sowie die Radflaschen mit dem ISO-Konzentrat (462 g in Wasser verdünntes Sportpulver „Purer Zucker“ 6-Markierungen, eine Markierung pro Stunde + 1 Gel für das Radfahren) im Rucksack verstaut und ab ging es zum Schwimmstart. Am Kanal angekommen konnte man bereits die Heißluftballone sehen, die zusammen mit der aufgehenden Sonne und sehr emotionale Musikuntermalung ein Ambiente geschaffen haben, die einen das Herz in die Hose rutschen ließ. Man geht gedanklich alles durch, stellt sich die Fragen „Bin ich fit?“, „Hab ich alles getan, um ein gutes Rennen zu liefern?“. Am Rad ankommen steht plötzlich Vanessa euphorisch grinsend vor mir und auch Axel Mandok ließ nicht lange auf sich warten. 3500 Einzelstarter in der Wechselzone, ein ganzes Dorf und man begegnet immer wieder einem ESV’ler.

Um 7:45 ging es dann für mich in den Kanal. Ein beeindruckender Blick in Richtung Kanalbrücke, auf der sich bereits die Zuschauer stapelten. Das Schwimmen verlief im Wasser sehr entspannt und ich war dann schon etwas enttäuscht als nur eine 1:03 auf der Uhr stand. Aber egal der Sporttag ist ja noch jung, Wechselbeutel greifen und rein ins Umkleidezelt. Neo runter, Luftpumpe in den ESV Einteiler Brille und Badekappe in den Wechselbeutel und ab zum Rad. Helm auf Startnummer rum und ab ging die wilde Fahrt. Raus auf die Straße Richtung Rothsee, erst einmal den Rhythmus finden und gucken ob irgendwo der Papa zusehen ist, aber da waren einfach zu viele Menschen.  Ich drücke mir erst einmal ein Gel in den Mund und nuckelte an meiner Trinkflasche, dabei fand schnell meinen Rhythmus und es ging mit Volldampf Richtung Greding. Ich hatte mir meinen Radcomputer so eingestellt, dass ich nur drei Werte angezeigt bekam Watt, Kadenz und Puls. Ich hatte mir für das Rennen vorgenommen immer so um die 200 +-20 Watt zu treten an den Steigungen durften es auch mehr sein aber dann moderat die Steigung hochkurbeln. Es lief super und ich erreichte gefühlt ziemlich schnell Greding bereits hier standen die Leute Spalier und feuerten mit Pauken und Trompeten an von überall hörte man “Vorwärts”, “Aufgeht es”,”Sebi”, “Sebastian schneller” aber es war schwierig in diesem Menschen Meer jemanden zu erkennen. Aber sobald es Gutschi schallte, wusste ich, da steht jemand, den du kennst und es entfachte einen Push, der auch nötig war da sich der Kalvarienberg sowas von hinzieht. Die Anwohner saßen mit Bierbänken am Straßenrand, waren als Einhorn verkleidet, grillten man kam sich vor wie auf einem großen Fest. Der Höhepunkt der ersten Runde ist natürlich der Solarer Berg der einfach unglaublich ist. Alleine in diesem Abschnitt stehen tausende die dich den Berg hochschreien, klatschen. Allerdings fährt es sich auch schwierig da man das Tempo des Vordermannes oder der Vorderfrau mitfahren muss da das Spalier aus Menschen so eng ist, dass man nicht überholen kann. Hier hörte ich erstmals die Stimme meines Papas.  

In den letzten 20 km schrie mein Körper nach einer Ganzkörperdusche. Mir ist nämlich am Anfang der weiten Runde ein Malheur passiert. Ich wollte aus meiner umweltbewussten Mehrweg-Gelflasche nuckeln, aber mein Bananengel wollte einfach nicht fließen. Ich druckte ein weiteres Mal. Nichts. Beim dritten Versuch hatte ich das Gel gleichmäßig verteilt von der Schulter bis zum Handgelenk auf dem rechten Arm. Es klebte wie die Sau und ließ sich auch mit Wasserflaschen nicht wirklich abspülen, daher sehnte ich einen Schwamm und eine Dusche herbei. In  er Wechselzone 2 angekommen nahmen hoch motivierte Helfer mein Rad entgegen und ich griff meinen Wechselbeutel. 

Merinowollsocken an, Schuhe an, weißes Mesh-Schirmmützchen auf, kurzer Dixi-Stopp und ab ging es auf die Laufstrecke. Das Learning aus dem Jahr 2016 war nicht zu schnell anlaufen. Daher blickte ich auf dem ersten Kilometer regelmäßig auf meine Uhr und drosselte schnell die Pace von 4:45 auf 5:15. Das Ziel des Tages, solange wie möglich ohne Gehpause die Kilometer abspulen. Ich verpflegte mich an jeder Wasserstation mit Wasser und ISO. Was ich nicht getrunken habe, ging eins zu eins zum Kühlen über den Kopf oder auf den Körper. Schnell war Kilometer 4 erreicht, dort standen von der RTG Ralph und Mia und feuerten an. Es ging über das Speck-Gelände Richtung Lände. Es ist schon ein bisschen gemein, wenn neben der Laufstrecke die Grillwürstchen brutzeln und man sich selbst nur Zucker reinpfeifen kann. Auf der Lände gab es dann Eis. Einen Becher Eis in die Mütze, den anderen ins Trikot. Ab jetzt ging das von Kilometer zu Kilometer denken los. Kilometer 11 erreicht, yippi, Kilometer 12 erreicht, super, Kilometer 13, yeah, … Kilometer 18, wann kommt dieser bef***… Wendepunkt…na endlich da ist der Wendepunkt… ok du hast die Hälfte geschafft… die Beine sind noch i.O. Es läuft, nur noch 5 KM zurück bis zur Lände (26 km) da gibt es wieder Eis und es sind dann nur noch 16 km. Dort angekommen drückte die Blase, du kannst jetzt nicht anhalten wer anhält, der geht. Bei km 29 ging es kurz aufs Dixi und ich dachte, irgendwer spielt mir einen Streich und wackelt an dem Dixi. Das Problem, niemand wackelte an dem Dixi. Egal, es musste weitergehen, das Anlaufen war die Hölle, aber ich kam wieder in den Flow. Ich passierte eine Verpflegungsstation nach der anderen und ich war zurück in Roth, es ging über den Markt Richtung Büchenbach. Ich war inzwischen bei ca. Km 31 angelangt und mein persönliches Höllentor öffnete sich. Nein, ich musste nicht nur einen Marathon laufen, nein dem Streckenplaner war das noch nicht Herausforderung genug, er musste auch noch einen 5 km Anstieg einbauen, ich schleppte mich mit einer Mischung aus Gehen, Traben, Fluchen und Laufen nach Büchenbach. Dort ging es um einen kleinen Dorfteich und ich wusste, jetzt geht es nur noch kurz bergauf und dann zurück zum Ziel. Ich bekam die dritte Luft. Die Gels, die Cola, die Iso Getränke entfalteten Ihre Wirkung und ich lief dann in einer Gruppe Richtung Ziel. Die letzten 3 km waren ein purer emotionaler Genuss. Du weißt, du kommst im Ziel an, du weißt, trotz einiger Gehpausen hast du einen guten Marathon bei ca. 30 °C geliefert. Du freust dich auf den Einlauf in das Stadion. Du hörst noch einmal Freunde, die dich anfeuern, du biegst in den Zielkanal im Stadion ein, wo dich hunderte Menschen bejubeln, du erreichst das Ziel und an deinem Namen steht 10 Stunden 48 Minuten und 13 Sekunden und du weißt, du bist mehr als über dich hinausgewachsen. Jan Frodeno hat mich beglückwünscht, aber das einzige was mir in dem Moment wirklich was bedeutete, war das, Versprechen einzulösen, meiner verstorbenen Mutter zu beweisen, dass ich es auch noch schneller schaffe und verbessere meine alte Zeit um eine Stunde (!) und 17 Minuten.

Nach dem Rennen ging es erst einmal zum Duschen, zur Massage und ich hab sogar etwas essen können. Den Wettkampftag habe ich dann mit meinem Vater auf der Tribüne im Challenge Stadion bei Musik, Lasershow und einem emotionalen Zielschluss vollendet. Danach erfolgte der Radcheckout und der Rücktransport nach Heuberg. Die Beine waren so fest, dass ich kaum in den Bus ein und aussteigen konnte. Nachdem die Räder verladen waren, ging es zurück nach Ingolstadt. Das Licht in meinem Schlafzimmer erlosch um 2:55 Uhr. Der längste Tag war geschafft und ich auch.

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